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12 Einleitung im Zeichen der Westintegration und markierten den Sieg der westlichliberalen Demokratie über die nationalsozialistische Diktatur In der Welt berichtete ein Reporter von einem Hamburger Wahllokal »Der erste Wähler war ein braungebrannter junger Mann mit einer weißen Autokappe Knatternd sauste sein Motorrad nach der feierlichen Handlung mit ihm um die nächste Ecke ›Ich mache das zum ersten Mal in meinem Leben‹ hatte er mir noch im Anfahren zugerufen « Der Artikel zeichnete das Bild eines gut gelaunten disziplinierten Wahlvolks das mit dem Wählen den feierlichen Akt der Regierungskür verband »›Die Partei ist egal – aber gewählt muß werden ‹« ließ sich ein Bahnhofsfrisör zitieren der seine Kunden unter dem Rasiermesser ermahnte falls sie ihrer Pflicht noch nicht nachgekommen waren 5 Das mediale Bild eines im Wählen vereinten Landes wie es Life und die Welt entwarfen war im Kalten Krieg selbst ein gutes Stück Propaganda für den Westen und sollte die Parlamentswahlen in Italien und der Bundesrepublik über Jahrzehnte begleiten In der Tat erwiesen sich Westdeutsche und Italiener im internationalen Vergleich als besonders eifrige Wahlbürger 6 Wie aber interpretierten sie ihre Rolle als demokratischer Souverän nachdem sie der Diktatur doch einiges hatten abgewinnen können? Welches Verhältnis fanden sie zu Parla ment und Parteien die in den faschistischen Regimen kaum jemand vermisst hatte? 7 Wie verständigten sie sich mit ihren neuen Vertretern über die Legitimität politischer Repräsentation? Und was hielt Wähler und ›Establishment‹ zusammen als junge politische Akteure seit den 1960er Jahren die parlamentarische Demokratie erneut in Frage stellten? Das vorliegende Buch erzählt eine Beziehungsgeschichte zwischen Wählern und Gewählten in Italien und der Bundesrepublik die nach 1945 die Erfahrung einer radikalen politischen Ordnungsalternative teilten Es untersucht das Verständnis von parlamentarischer Demokratie durch die Linse politischer Kommunikation vor den Hausund Wohnungstüren der Bürgerinnen und Bürger Dabei manövriert es durch die Klippen dreier großer Erzählungen einer Erfolgsgeschichte der Bundesrepublik einer Krisengeschichte der italienischen Republik und einer angloatlantischen Geschichte vom Formenwandel des Politischen den die sozialen Bewegungen in den späten 1960er Jahren anstießen 8 In allen drei Erzählungen fungieren namenlose Wähler eher als passives Publikum dem sich die historische Forschung gern über zeitgenössische Meinungsumfragen oder ›im Spiegel‹ der massenmedialen Öffentlichkeit nähert Doch Meinungsumfragen wie Massenmedien produzierten 5 So erlebte Hamburg den Wahlsonntag in Die Welt 15 8 1949 6 In Italien wurde dies noch forciert durch eine Wahlpflicht Nicht-Wähler wurden amtlich vermerkt und in der Frühzeit der Republik an kommunalen Wandtafeln öffentlich genannt 7 Vgl F Bajohr Fremde Blicke 2011 S 27 f 316–320 R Pergher G Albanese Introduction 2012 sowie die einschlägigen Beiträge in P Corner Popular Opinion 2009 8 Zu Letzterem vgl B Davis What’s Left? 2008 zu den beiden anderen Meistererzählungen siehe den zweiten Abschnitt dieser Einleitung